Mikrofinanz ist in aller Munde - erst positiv, dann eher negativ.
Wo stehen wir jetzt?!
Mikrofinanzkredite sind unbesicherte Kleinkredite an Menschen in sogenannten Entwicklungsländern (Mikrofinanzprogramme in Industrieländern seien hier ausgenommen). Vorrangig soll Mikrofinanz Klein- und Kleinstunternehmen fördern, als besserer Ersatz für „Kredit-Haie“. Die Kreditnehmer_innen sind mit großer Mehrheit Frauen; sie leihen entweder als Gruppe (deren Mitglieder die Rückzahlungen gegenseitig überwachen) oder einzeln von Mikrofinanz-Institutionen, die wiederum durch Mikrofinanzfonds mit Kapital und Darlehen ausgestattet werden. Einige dieser Mikrofinanzfonds sind für private Anleger_innen aus Deutschland investierbar, andere werden gezielt an institutionelle Investoren vermarktet.
Die kurze und komplexe Geschichte der Mikrofinanz soll hier nur skizziert werden. Wikipedia (besonders auf Englisch), und Mikrofinance Gateway bieten mehr grundlegende Informationen. Eine interessante Darstellung findet sich in der aktuellen Studie des Südwind Instituts, „Jenseits von Mikrokrediten. Geldanlagen und Entwicklungsförderung“. Auch eine Übersicht von in Deutschland erhältlichen Mikrofinanzfonds ist unschwer über das Internet zu bekommen – je nachdem, ob privat oder institutionell investiert wird, fällt sie unterschiedlich aus.
Mikrofinanzbanken gibt es seit den 70er Jahren, meist finanziert durch Banken der Entwicklungszusammenarbeit. Mohammad Yunus aus Bangladesch hat mit dem Erfolg der Grameen Bank (gegründet 1983) Mikrofinanz weltweit bekannt gemacht; er erhielt 2006 dafür den Friedens-Nobelpreis. Die Branche wuchs sehr schnell; sie umfasst derzeit 60-100 Mrd. US-Dollar und erreicht 120-190 Millionen Kund_innen.
Für Yunus, wie für viele Gründerpersönlichkeiten der Mikrofinanz-Branche, war die Motivation die Armutsbekämpfung: Mikrofinanz soll helfen, den Weg aus der Armut zu finden. Allerdings weisen Studien bis heute diesen Zusammenhang nicht eindeutig nach. Dementsprechend spricht man in der Branche nun etwas bescheidener von „Finanzdienstleistungen für Arme“ oder „finanzieller Inklusion“.
Nur kurze Zeit nachdem Mikrofinanz allseits bekannt wurde, kam es zur größten Krise, die die Branche bislang ertragen musste: In Indien wurden Selbstmorde direkt auf Mikrokredit-Überschuldung zurückgeführt. Der Hintergrund, wiederum sehr grob skizziert: Investor_innen, seit der Banken- und Wirtschaftskrisen ab 2008 stark auf der Suche nach Alternativen, entdeckten die Branche. Die reagierte im Grunde erfreut auf dieses vermehrte Interesse: Das Geschäftsmodell funktionierte bis dato für alle Beteiligten nicht schlecht; die Bedarfe waren (und sind es weiterhin!) enorm; Skalierbarkeit schien gegeben. Erste Börsengänge von Mikrofinanzinstitutionen brachten dann aber Schwierigkeiten; ein Teil der Branche erwartete nun marktübliche Profite; es kam zu Wettbewerben zwischen (eher profitorientierten) privaten und (eher politisch orientierten) staatlichen Anbietern, zu politischem Gerangel und Verfehlungen. Gleichzeitig kam es in mehreren Ländern, in denen Mikrofinanz besonders schnell zugenommen hatte (Nicaragua, Marokko, Bosnien-Herzegowina und Pakistan), zu Rückzahlungs-Krisen. Die Branche war schwer erschüttert; manche ehemalige Mikrofinanz-Befürworter_innen investieren bis heute nicht wieder in die Branche und raten davon ab. Sie fragen, warum Mikrofinanz-Kund_innen Zinssätze von bis zu 80 % p.a. zahlen müssen (der globale Durchschnitt liegt bei 35 % p.a.). Andererseits hat die Branche bewusst und in meinen Augen ausgewogen auf die Krise reagiert. Mikrofinanzinstitutionen taten sich zur Qualitätskontrolle zusammen, machten ihre Kostenstrukturen transparent, organisierten zentrale Kreditregister (um Mehrfachverschuldung vorzubeugen), erstellten und veröffentlichten Studien – gut zugänglich dargestellt bei CGAP und MIX Market. Die „Smart Campaign“ (Motto: „keeping clients first“) definiert Standards für Kund_innenschutz. Ihr haben sich weltweit über 1.500 Mikrofinanzinstitutionen angeschlossen.
Fazit:
Der heutige Mikrofinanzmarkt ist weiterhin heterogen und weist vielerlei Methoden, unterschiedliche Einrichtungen, Philosophien und Geschäftsmodelle auf. In meinen Augen ist diese Vielfalt durchaus ein Vorteil. Wer wirklich die Ärmsten der Armen erreichen will, wer außerhalb der Ballungszentren arbeiten möchte, der wird keine marktkonformen Renditen versprechen können. Wer aber einer „normalen“ Profitorientierung das Wort spricht, mag sehr gute Dienstleistungen anbieten, Mikrofinanz wettbewerbsfähiger mit anderen Investitionen machen und damit dem großen Bedarf nach mehr Finanzdienstleistungen für Arme weiter begegnen.
Andererseits mag das Versprechen von marktkonformen Renditen auch auf erhöhte Risiken und aggressiveres Geschäftsgebaren hinweisen. Wer Investitionen in Mikrofinanz erwägt, sollte daher zuallererst die Selbst-Verortung der herausgebenden Institutionen prüfen. Wieviel Erfahrung im Felde haben sie? Ist die Selbstdarstellung inhaltlich solide? Nehmen sie an internationalen Initiativen zur Qualitätssicherung teil, wie z.B. „smart campaign“? Haben sie lang anhaltende Beziehungen zu „ihren“ Mikrofinanzbanken? Begleiten diese wiederum die Mikrofinanzierung mit Kund_innen-Fortbildungen, Mikroversicherungen? Welche Rolle spielen Sparprogramme, die die Kund_innen beim Vermögensaufbau unterstützen? Werden Währungsrisiken – die große Unbekannte bei internationalen Investitionen – geteilt, oder belasten sie alleine die Einrichtungen in den Zielländern?
Mangelnder Zugang zu Kapital ist weiterhin ein großes Problem für wenig vermögende Menschen in Entwicklungsländern. Der Bedarf nach Mikrofinanz ist vorhanden.
Darlehen an arme und sehr arme Menschen sind grundsätzlich riskant und Investitionen über Währungsgrenzen hinweg auch, das ist offensichtlich. Eine sehr breite Streuung mindert die Risiken natürlich; aber wenn einzelne Anbieter_innen Mikrofinanz als „low risk“ darstellen, dann stellt sich doch die Frage, ob die Risiken hier ganz bei den Mikrofinanzinstitutionen und schließlich bei den Kreditnehmer_innen bleiben.
Wer als „impact first“- Investor_in mit Mikrofinanz vorrangig Entwicklung befördern möchte, sollte damit zufrieden sein können, dass der nachgewiesene „impact“ in „finanzieller Inklusion“ besteht - während (noch) nicht erwiesen ist, ob diese Geldanlagen entscheidend dazu beitragen, dass sie Menschen aus der Armut heraushelfen. Auch für „finance first“ Investor_innen ist Mikrofinanz interessant, selbst wenn die Renditen nicht marktkompatibel sind, und zwar aus Gründen der Diversifizierung: Ihre Performance korreliert wenig mit anderen Anlageklassen. Heutzutage erscheint beispielsweise Oikocredit mit ihrer – nicht garantierten, aber seit der Jahrhundertwende fein regelmäßig gezahlten – jährlichen Ausschüttung von 2 % als eine recht gute Investition.